Musiker: The Tiger Lillies
Genre: Alternative
Veranstaltungsdatum: 04.08.2015
Veranstaltungsort: Palmengarten »
In Frankfurt gibt es nicht wirklich viele schöne Ecken, jedoch gehört der Palmengarten mitten in der Stadt definitiv dazu. Ich hatte diesen Park schon öfters besucht, allerdings nur um die dortige Flora und Fauna zu bewundern. Eher zufällig entdeckte ich dann vor einigen Tagen, dass das Künstlerhaus Mousonturm im Rahmen ihrer „Summer in the City“-Konzertreihe im Musikpavillon des Palmengartens einen Auftritt des Londoner Trios The Tiger Lillies organisiert. Ich kannte die Band bisher nur aus der Konserve, vor allem durch ihre Lovecraft-Adaption Mountains Of Madness, mir wurde jedoch von unterschiedlichen Quellen versichert, dass sie live wirklich gut sind. Die Musik dieser skurrilen Truppe ist schwer zu beschreiben, finden sich doch Elemente der britischen Music-Hall-Tradition, krachige Punkanleihen, Jahrmarktsklänge, osteuropäische Straßenmusik, klassische Einflüsse und eine ganze Reihe anderer Versatzstücke mehr. So machte ich mich mitten in der Woche kurzentschlossen auf den Weg in die Bankenstadt um zu überprüfen, ob die Empfehlungen meiner Bekannten den Tatsachen entsprechen.
Der Berufsverkehr war schon weitgehend abgeflossen und für die Nachtschwärmer war es noch zu früh, daher blieb mir der schon obligatorische Stau in der Stadt erspart. Die Parkplatzsituation rund um den Palmengarten ist, wie überall in der Stadt, grenzwertig, daher wählte ich die einfachste Lösung und fuhr direkt in die Tiefgarage des Parks, wo erfreulich viele Stellplätze (zu einem moderaten Preis) zur Verfügung standen. Nun musste ich mir nur noch ein Ticket besorgen und den Musikpavillon finden. Dank der guten Organisation war beides keine sonderlich große Herausforderung und ich erreichte den Pavillon gut zwanzig Minuten vor Beginn des Konzertes. Dieser stellte sich als muschelförmige Betonkonstruktion auf einer Lichtung heraus, um die im Halbkreis zahlreiche Bänke angeordnet waren. Die umstehenden Bäume ließen vergessen, dass man sich hier mitten in einer der größten deutschen Städte befand und sorgten für eine sehr ruhige, entspannte Atmosphäre.
Natürlich waren schon die meisten Bänke besetzt und in guter deutscher Tradition lagen auf den noch freien Sitzgelegenheiten entweder Decken, Kissen oder andere Dinge um das Territorium zu markieren. Nach einigem Fragen und kurzer Suche fand ich schließlich doch noch eine Bank, deren Besatzer bereit waren etwas näher zusammen zu rücken, um mir auch noch ein bisschen Platz zu machen.
Selbst mit einem flüchtigen Blick durch die Reihen ließen sich die erfahrenen Besucher auf den Bänken erkennen: bequeme Kissen, wohl gefüllte Picknickkörbe oder gar Kühlboxen und eine reichhaltige Auswahl an unterschiedlichsten Alkoholika und Leckereien. Ich dagegen musste mich mit einer schnöden Cola und einer Brezel auf einer harten, ungepolsterten Bank begnügen. Dennoch hatte ich keinen Grund mich zu beschweren, mein Platz war schön zentral vor der (gar nicht so kleinen) Bühne gelegen, die Atmosphäre war angenehm locker und sogar das Wetter hatte sich endlich stabilisiert. Bis zum Auftritt waren es immer noch einige Minuten Zeit und so hatte ich die Gelegenheit meine Umgebung und vor allem das Publikum näher in Augenschein zu nehmen. Dieses präsentiert sich wild gemixt, vom Frankfurter Bildungsbürgertum im Rentenalter über offensichtlich fanatische The Tiger Lillies-Fans, einige davon sogar extra aus der Ukraine angereist, bis hin zu ganz normalen Musikfreunden, die neugierig auf ein außergewöhnliches Konzert waren.
Nach einer kurzen Anmoderation trat, pünktlich um 20 Uhr, die Band auf die Bühne und legte mit „Roll Up“ die musikalische Ausrichtung des Abends fest. Akkordeon, Bass und Schlagzeug unterlegten den Falsett-Gesang von Martyn Jacques, der gelegentlich von seinen beiden Kollegen Adrian Stout und Mike Pickering im Refrain unterstützt wurde. Das folgende „Dribble“ kam sogar nur mit Gesang, Bass und Percussion aus und steigerte sich deutlich im Tempo, bis der Text nur noch aus einer Aneinanderreihung von Lauten bestand. Sehr schön war es zu diesem Zeitpunkt die etwas verstörten Gesichter einiger Besucher zu betrachten, die sich offensichtlich fragen, auf was sie sich hier eingelassen hatten und wahrscheinlich gerne ganz woanders wären. Deutlich ruhiger ging es bei der epischen Psychokiller-Ballade „Maria“ zu, in der explizit erklärt wurde, was der Psychopath mit seinem Opfer anstellt. Neben sehr spärlicher Instrumentierung wechselte Mr. Jacques hier zwischen seinem normalen, hohen Gesang und deutlich tieferen Tonlagen. Es folgte das ähnlich düstere „Billys Blues“ und mit „Terrible“ eine ungewöhnlich schnelle Nummer, bei der auch eine selbstgebaute Ukelele zum Einsatz kam. Einen krassen Schnitt was Tempo und Stimmung angeht macht die Band anschließend mit „Rosa With Three Hearts“, bei der es ausnahmsweise nicht um Gewalt, Sex oder Drogen geht, sondern einfach nur um die Geschichte einer herzensguten Frau, die an ihrer kalten Umgebung zerbricht. Zum ersten Mal an diesem Abend kamen bei „Teardrops“ das Klavier und die singende Säge zum Einsatz, die dem Stück einen sehr eigenen, melancholischen Klang verliehen, vielleicht das intensivste Stück des Konzertes. Deutlich lockerer und entspannter ging es dann mit „Another Glass Of Wine“ weiter, das von einer fröhlichen Zechtour durch die Kneipen erzählt und durchaus als Vaudeville- oder Music Hall-Nummer durchgehen würde. Vor allem das lustig klimpernde Klavier lockerte nach den vorangegangenen eher finsteren Stücken die Atmosphäre merklich auf.
Und damit verabschiedete sich die Band dann auch nach gut 45 Minuten für eine kleine Pause von der Bühne. Ich nutzte die Gelegenheit mich ein wenig zu strecken und mir die Beine zu vertreten. Die Bänke waren alles andere als ergonomisch und die beengten Verhältnisse waren Gift für meinen geplagten Rücken. Nachdem sich The Tiger Lillies langsam wieder auf der Bühne einfanden, wurde offensichtlich, dass einige Zuschauer die Pause genutzt hatten um sich diskret abzusetzen. Was natürlich den Vorteil hatte, dass ich meinen etwas beengten Platz verlassen konnte und auf die Bank vor mir wechselte, deren vorige Besitzer das Weite gesucht hatten.
Eröffnet wurde der zweite Teil des Sets mit „Russians“, das angeblich vor fast 20 Jahre in Frankfurt geschrieben wurde und auf dem dortigen Flohmarkt am Mainufer angesiedelt ist. Mit „Getting Old“ und „Kick A Baby“ ging es zwar musikalisch deutlich lockerer weiter, die Texte ließen sich jedoch selbst mit viel gutem Willen nur als boshaft und zutiefst zynisch beschreiben. Der Daumenlutscher Konrad des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann, dem einen oder anderen vielleicht bekannt aus Der Struwwelpeter war die Hauptfigur in „Snip Snip“. Der 4/4-Takt des Stücks hatte seine Wirkung auf die Besucher und tatsächlich wippten einige, bis dahin eher reservierte Zuschauer mit. Das dies noch steigerungsfähig war bewies die Band beim folgenden „Bully Boys“, bei dem sogar zwei wagemutige Damen ihre Plätze verliessen und vor der Bühne tanzten. Sicherlich eines der eingängigsten Stücke der Band, das, wie auch das vorangegangene Lied, vom Album Shockheaded Peter stammt. Nach diesem kurzen Ausflug in lockere musikalische Gefilde wurde mit „Thousand Violins“ ein weiterer Ruhepunkt gesetzt, bei dem Martyn Jacques recht eindrucksvoll seine gesanglichen Fähigkeiten ausschöpfen konnte. Dagegen ging es bei „Gypsy Lament“ und „Banging In The Nails“ wieder mit deutlich mehr Tempo zur Sache und die Stimmung bei den Zuschauern lockerte merklich auf, bis es dann bei den Obszönitäten die sich im Text von „Sailor“ tummelten wieder einige irritierte Blicke aus den Zuschauerrängen gab. Auch Adrian Stout, der mit seinem Bass kopulierte und dabei gleichzeitig das Theremin spielte schien einige Besucher zu verstören. Für das letzte Stück des Konzertes sollten die Zuschauer Vorschläge machen, erstaunlich schnell waren mit „Crack Of Doom“, „Flying Robert“ und „Gin“ drei Stücke für die nähere Auswahl gefunden, von denen sich „Crack Of Doom“ vom 1999er Album Bad Blood And Blasphemy deutlich in einer Stichwahl durchsetzen konnte. Hier gab die Band noch einmal richtig Gas und tatsächlich erhoben sich einige Zuschauer um mitzuklatschen und sich im Takt zu bewegen.
Aus organisatorischen Gründen endete damit das Konzert ziemlich genau um 22.00 Uhr, ohne dass die Band für die lautstark geforderte Zugabe zurück auf die Bühne kam. Ein guter Teil der Zuschauer strömte danach rasch dem Ausgang entgegen, während sich die übrig Gebliebenen noch auf einen letzten Absacker vor dem Palmenhaus trafen oder sich um den Merchandise-Pavillon drängten. Hier hatten sich mittlerweile auch die drei Musiker eingefunden, signierten CDs, standen für Fotos bereit und fanden auch noch Zeit für ein kurzes Schwätzchen. Nachdem ich zwei fehlende Alben für meine Sammlung, The Rime Of The Ancient Mariner und das aktuelle A Dream Turns Sour, erstanden hatte, reihte ich mich auch in die Schlange ein, damit die Musiker ihre Unterschrift geben konnten. Schließlich hatte ich die drei Autogramme und machte mich auf den Weg in die Tiefgarage des Palmengartens und anschließend auf den Heimweg.
Ich hatte nicht erwartet solch ein stimmiges und entspanntes Ambiente für ein Konzert im Palmengarten vorzufinden und war doch sehr angenehm überrascht. Auch der Sound war erstaunlich gut, bei meinen letzten Konzertbesuchen hatte ich in dieser Hinsicht deutlich weniger Glück gehabt. Sehr interessant war es auch die etwas pikierten Reaktionen einiger Besucher angesichts der Mischung aus Obszönitäten, Gewaltfantasien, Alkohol- und Drogenverherrlichung, (käuflichem) Sex und den generell abseitigen Aspekten des Lebens die Martyn Jacques in den Texten der Stücke verarbeitet, zu beobachten. Jedoch hatten die meisten Leute an dem Auftritt durchaus ihren Spaß und genossen das außergewöhnliche Konzert. Es dauert zwar bis zum zweiten Teil des Sets bis die Zuschauer ihre Zurückhaltung etwas aufgaben, was aber auch an der Auswahl der Stücke gelegen haben könnte.
Während die Instrumentierung mit Bass, Gitarre, Klavier und Schlagzeug soweit nicht ungewöhnlich war, gaben Maultrommel, singende Säge, Theremin, eine selbstgebaute Ukelele, ein Luftballon und natürlich das charakteristische Akkordeon vielen Stücken eine ganz individuelle Note, die ich, zumindest in dieser Form noch nicht gehört habe. Auffällig war zudem, dass nur wenige neuere Stücke im Set berücksichtigt wurden, die meisten Titel waren 15 Jahre oder älter.
Wer sie auf der aktuellen Tour verpasst hat muss sich nicht grämen. Im September und Oktober sind The Tiger Lillies wieder in Frankfurt. Dort wirken sie als Gäste des Schauspiel Frankfurt bei der Aufführung von Die Geschichte vom Franz Bieberkopf, einer Theaterversion des Klassikers Berlin Alexanderplatz mit.